top of page

Der No-men-ber

  • Anonym
  • vor 3 Tagen
  • 6 Min. Lesezeit

Es ist jetzt ungefähr 10 Jahre her, dass sich mein Jungerwachsenen-Ich vom Beziehungsleben verarscht gefühlt hat. Beziehung nach Beziehung scheiterte und mein einziger Gedanke dazu war: 'Sex ist Priorität in einer romantischen Paarbeziehung. Mit dem Vaginismus – da will dich doch keiner'. Ich heulte, ich verzweifelte und vor allem wurde ich immer wütender – und zwar auf mich selbst. Ich fühlte mich falsch in dieser Welt. Nicht zugehörig und auch nicht funktionsfähig als Flinta*. Niemand sprach mit mir über Sex, aber alle schienen es zu leben und zu lieben. Das sagten mir zumindest Filme, Serien und Bücher. Die Hauptcharaktere hatten immer direkt eine sexuelle Anziehung und es war klar, dass es darauf hinauslief, dass sie innigen, verbundenen, spicy penetrativen Sex haben würden. Perfekte Körper inbegriffen. Und dann war da ich – verdammte Schmerzen, sobald sich ein Penis meiner Vagina näherte und Heulkrämpfe jedes Mal, wenn ich merkte 'Ah fuck, auch dieses Mal funktioniert es wieder nicht'. Vor circa 10 Jahren war ich am Tiefpunkt meines Lebens. Wie viele Beziehungen musste ich noch durchleben, in denen ich ein Problem war, weil Penetration mir einfach nur wehtat? Warum wollten das gefühlt alle? Die Frage, was ich eigentlich wollte, stellte ich mir erst viel später. Es kostete mich noch Jahre an Therapie, bis ich verstand: Nicht ich war das Problem, sondern das System, das Patriarchat, in dem Grenzüberschreitungen zur Norm gehören. Ich lernte ganz wissbegierig, für mich und meine Bedürfnisse einzustehen und merkte, dass ich sexuell total gut „funktionieren“ kann - und zwar ganz genau so, wie ich es mag. Ohne Penetration. Ich lernte, dass es noch so viele Alternativen gibt. Ich lernte, Grenzen zu setzen, da wo es sonst mein Körper in Form meines Vaginismus tat. Und ich lernte, zu Sex nein zu sagen und in sehr kleinen geduldigen Schritten, meine eigene Sexualität aufzubauen oder auch, es sein zu lassen. Mir wurde nach einiger Zeit klar, dass ich nicht für Cis- Männer sexuell verfügbar sein muss, egal in welcher Beziehung. Ich lernte, dass ich meine Bedürfnisse aussprechen darf – ja, überhaupt erst einmal herausfinden darf, welche Bedürfnisse ich habe. Ich lernte, dass ein „Nein, ich will keinen penetrativen Sex mit dir“ eine völlig valide Option war und es sich richtig gut anfühlte, das auszusprechen. Ich merkte, dass wenn ein Cis- Mann deswegen frustriert oder enttäuscht war, es mich zuerst sehr belastete. 'Ohje, der Arme hat ja auch nur ein Bedürfnis' und 'Ja, er tut mir total Leid'. Bis ich irgendwann checkte: Warte, was? Ich sollte hier Mitgefühl für mich haben und welches bekommen. Da ist der Typ, der gar nicht checkt, wie es mir geht. Nicht einmal danach gefragt hat. Mir das Gefühl gibt, meine Grenzen sind nicht okay. Der Cis-Dude, der scheinbar keine weiteren Skills zu haben scheint, als mich zu penetrieren. Der damit auch keine sexuellen Alternativen zu Penetration zu kennen scheint und der letztlich auch keine Ahnung vom weiblichen Körper hat. Also änderte ich meine Perspektive. Ich fragte Cis- Männer ab diesem Zeitpunkt: „Was kannst du mir denn sexuell eigentlich so bieten, außer Penetration? Was ist die Vulva, was die Vagina und wo befinden sie sich in meinem Körper? Und weißt du eigentlich, was man mit der Klitoris machen kann und wie die aussieht?“. Ich weiß, ich war damit sehr provokativ, aber das ist nötig. So viele Männer, die ich kennengelernt habe, hatten keine Ahnung vom weiblichen Körper. Das Patriarchat und die sexuelle Sozialisation, die wir durchlaufen, sagt Flinta*, dass sie sexuell verfügbar sein müssen. Sie sagt uns, dass wir falsch sind, wenn wir Penetration blöd finden. Sie will uns zu verstehen geben – ihr habt Normen zu erfüllen. Ja, wie lange war es gesetzlich festgeschrieben, dass Flinta* in der Ehe sexuelle Pflichten für den Mann zu erfüllen haben?!1 Dabei ist die viel interessantere Frage, was uns denn eigentlich die Cis-Männer zu bieten haben? Einzig und allein ihren Penis? Ganz schön schade.


Und irgendwann hatte ich wirklich genug davon, mich ständig damit zu beschäftigen, was denn eigentlich so mit den Cis-Männern los ist. Ich wollte mehr zu mir finden und nicht mehr so viel darüber nachdenken, wie ich denn nun endlich den ersehnten passenden Partner finden kann. Das ist ermüdend. Das Leben hat so viel mehr zu bieten, als penetrativen Sex oder die einzig wahre Partnerschaft. Uns wird verkauft, dass das wichtigste und erstrebenswerteste Ziel in unserem Leben - „Bis dass der Tod uns scheidet“ - sei. Warum gehen so viele Beziehungen und Ehen dann auseinander? Warum sind wir so oft in Partnerschaften unglücklich? Und warum halten Freundschaften oft viel länger und sind so viel tiefer? Gleichzeitig merkte ich, wie meine Verlustangst und die Angst vorm Alleinsein sehr heftig wurden. Kognitiv war mir ab diesem Zeitpunkt absolut klar, dass ich mal eine Pause von Cis-Männern brauchte. Und davon, mich damit zu beschäftigen, wie ich es denn nun doch endlich schaffen kann, die zufriedene leidenschaftliche Beziehung zu führen, mit jemandem, der passt. Aber emotional war und bin ich leider noch abhängig. Davon, mich von einem Cis-Mann geliebt zu fühlen. In mir herrscht dieser romantische Gedanke davon, dass mein Partner sich fürsorglich um mich kümmern würde und lässt mich diese emotionale Abhängigkeit und die Angst davor, allein dazustehen, verspüren (dieses Phänomen ist im Buch „Entromantisiert euch“ von Beatrice Frasl, schön und sinnig dargestellt2). Wieder ärgere ich mich über mich selbst. Sehr. Ich will es so sehr schaffen, allein sein zu können. Single sein hat so viele Vorteile – man kann das Leben völlig auf eigene Bedürfnisse fokussieren, die schönste Zeit mit den viel wichtigeren Freund:innen haben und sich selbst neu entdecken. Endlich Care-Arbeit nur noch für mich selbst leisten. Wie schön. Das ist immer noch mein Ziel. Denn ich bin noch lange nicht so weit, sagen zu können, dass ich eine Partnerschaft nicht brauche, sondern sie als ein 'Nice- to-have' sehe, auf das ich nicht angewiesen bin. Und dass ich auch mal ausprobieren darf, wie es zum Beispiel mit anderen Flinta* ist. Und vor allem: Dass ich von meinen Freund:innen geliebt und umarmt werden darf. Und auch mit ihnen kuscheln darf. Denn die sind meine Priorität Nummer 1, wenn es um Beziehungen geht. Niemand ist mehr für mich da und versteht mich besser, wie meine Freund:innen. Das ist die purste Liebe, die es nur geben kann. Ein ganz tiefes emotionales Urvertrauen.


Vor zwei Jahren dachte ich mir, dass ich, solange ich mich noch nicht gänzlich von dem patriarchalen Gedanken „Ich brauche unbedingt eine romantische Paarbeziehung, sonst bin ich nicht ganz“ lösen kann, es aber vielleicht phasenweise funktioniert. Ich führte für mich den „No-men- ber“ ein. Ein ganzer Monat, in dem ich mir selbst erlaubte, nur für mich da zu sein und keine Energie in Cis-Männer und romantische Partnerschaften zu verschwenden. Ich pausierte Cis- männliche Kontakte so wie ich wollte und stand dafür voll und ganz ein. Ein Monat, der nur für mich ist. Ein Monat Erleichterung und Durchatmen. Der No-men-ber verschafft mir die Zeit, zu merken, dass ich es völlig alleine schaffe und dabei glücklich sein kann. Dass die Menschen, die ich um mich haben will, meine jahrelangen festen Freundschaften sind. Und zu merken, wie viel tiefe Liebe ich für diese Menschen empfinde. Eine Liebe, die ich durchgehend zurückbekomme. Kein Kampf um den Erhalt dieser Verbindung, kein Kampf darum, so sein zu dürfen, wie ich bin. Ich darf zu jeder Zeit ich sein. Und Stück für Stück erobere ich mir so meine Freiheit und meine Liebe zu mir selbst. Und irgendwann schaffe ich es, aus dem No-men-ber ein ganzes Leben zu machen, in dem mich Cis-Männer begleiten dürfen und es gleichzeitig völlig fein ist, wenn sie es nicht tun. Denn die Liebe, die ich brauche, habe ich schon lange mit meinen tollsten Freund:innen. Und so ist der No-men-ber mein jährliches Ritual.


Ich bin der Ansicht, dass es nicht diesen einen richtigen Weg gibt, romantische Paarbeziehungen zu führen oder sie nicht zu führen. Ich bin mir jedoch sicher, dass sie zu sehr im Fokus unseres Lebens stehen. Ich denke, es ist wichtig und hilfreich, ihre Bedeutung zu hinterfragen, um für sich den schönsten Lebensweg zu finden. Ich möchte daher gerne dazu anregen, auszuprobieren, wie es sich anfühlt, sich auf sich selbst zu konzentrieren und mit Absicht und völlig gewollt aus dem System der romantischen Paarbeziehungen für eine Weile auszutreten. Definiert euren eigenen No-men-ber so, wie ihr ihn braucht. Seid wild, empört, euphorisch. Leidenschaftlich, kämpferisch, und liebevoll. Aber ganz wichtig: Seid es mit euch selbst und für euch selbst. Seid wütend auf das System. Seid wütend auf das Patriarchat. Setzt Grenzen und erzählt Menschen eure Bedürfnisse. Findet eure eigene Sexualität. Ihr seid nicht allein. Da draußen sind so viele Flinta*, die sich fühlen wie ihr und ich. Lasst uns miteinander einfühlsam sein und uns verbinden. Tiefe Liebe geht raus an jede Flinta*.



*Flinta steht für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nicht-binäre, trans und agender Personen. Das Gendersternchen steht an dieser Stelle dafür, Binaritäten aufzubrechen und auf Intersektionalen Feminismus hinzuweisen. Es steht für die Veränderbarkeit von Geschlecht und Sexualität und damit zusammenhängend das Ausbrechen aus Stereotypen und Rollenbildern.



Quellenverzeichnis/Literaturempfehlungen:

¹ Köppke, Monika (2022): Vor 25 Jahren. Als der Bundestag die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe beschloss. In: Deutschlandfunk. URL: https://www.deutschlandfunk.de/gesetz-strafbarkeit-vergewaltigung-ehe-100.html. Stand 28.11.2025.

² Frasl, Beatrice (2025): Entromantisiert euch. Ein Weckruf zur Abschaffung der Liebe. Innsbruck-Wien.


 
 
bottom of page