Stark Sein
- Anonym
- 10. Mai
- 2 Min. Lesezeit
Stark sein
Resilient sein
Nicht kaputt gehen
Niemanden enttäuschen
Lächeln obwohl alles schmerzt
Sich selbst regulieren und an die Grenzen gehen, damit von außen alles ok aussieht.
Aber was, wenn ich nicht mehr kann? Was, wenn es doch nicht mehr geht? Dann bin ich eine Enttäuschung für mich und für meine Freunde und für meine Familie und für meine Ärzte. Die mich doch immer loben, dass ich daran nicht kaputt gehe, die sagen sie können sich nicht vorstellen was für eine Belastung das ist, die mich hilflos anschauen, weil es nichts gibt was hilft, die sagen „ich habe auch Bauchschmerzen“ und „mir geht es doch auch nicht gut“ und damit meinen „ich jammer doch auch nicht“.
Stark sein ist vielleicht gar keine Stärke. Es verschont nur die anderen davor zu sehen, wie es mir geht, wie ich mich fühle und was ich täglich erlebe. Wer will schon jeden Tag hören, dass ich schon wieder nicht mitmachen kann. Dass es immer noch nicht wieder gut ist.
Und dann wird man leise. Und man fühlt den Kloß im Hals und das Gefühl, dass alles schwer ist im Bauch, aber man trägt es für sich. Schaut es an und denkt sich: Aber es soll doch gerade schön sein hier auf der Wiese mit dem Ausblick, im Restaurant mit den Freunden, abends kuschelnd auf dem Sofa mit dem Partner. Und das ist es auch. Aber die Schwere ist dabei und der Kloß. Sie sind immer da und erinnern daran, was sein könnte und nicht ist.
Manchmal will ich gar nicht stark sein. Manchmal will ich schwach sein und traurig sein und den Verlust spüren und das am liebsten nicht alleine.
Ich mache doch schon so viel, bin stark, halte durch, mache weiter, lasse mich nicht unterkriegen UND DOCH WIRD ES NICHT BESSER. Die Mauer bleibt. Mein Vaginismus bleibt. Und die Verzweiflung bleibt und was nützt es mir stark zu sein, wenn sich doch nichts ändert?
Die Wand, der Kloß und die Schwere. Sie haben es sich bequem gemacht in mir neben Ulf, dem Unterbauchschmerz, der inzwischen lieber in meinem Bein wohnt, und Rachel McPain, meiner Endometriose.
Sie sind immer dabei und lassen es mich wissen, wenn der Wecker klingelt, damit ich die Tabletten nicht vergesse, wenn ich nicht weiß ob die Nebenwirkungen oder die Schmerzen gegen die sie helfen sollen schlimmer sind, wenn ich vor einer Treppe stehe und der Fahrstuhl daneben defekt ist, wenn jemand fragt, ob ich mitkommen will zum Kanu fahren, und ich abwägen muss ob mir das die Schmerzen danach wert ist, wenn der Urlaub mit einem Tag im Bett beginnt, weil die Reise zu anstrengend war, wenn ich meine eigene Enttäuschung verstecke und zwanghaft versuche es toll zu finden, dass ich doch immerhin dabei sein kann. Ich will mich schützend vor meine kleinen Bewohner stellen und sagen: Wir schaffen das! Ich will gut zu euch sein, ich will stark für euch sein und euch schützen, damit es nicht noch schlimmer wird.
Aber eigentlich möchte ich einfach nur dasitzen und die Aussicht über die Wiese genießen und eingekuschelt im Arm von meinem Freund liegen. Eigentlich möchte ich nicht stark sein müssen, sondern einfach nur sein dürfen.