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Abstriche machen

Jona

Wenn ich über das „Abstriche machen“ nachdenke, assoziiere ich damit viele verschiedene Situationen, über die ich hier schreiben könnte. Ich könnte darüber schreiben, dass ich wegen meines Vaginismus keinen penetrativen Sex haben kann und das Gefühl habe, dadurch vieles zu verpassen. Aber ich verpasse nicht nur die Penetration selbst. Ich „konnte“ viele Dinge nicht, sei es aus Scham oder aus körperlichen Gründen:


  • Gespräche mit Freund*innen über die ersten sexuellen Erfahrungen:

    „Es ist kein richtiger Sex, wenn meine Vagina keinen Penis aufnehmen kann. Das ist peinlich.“


  • Kennenlernen von einem bestimmten Typ Mann:

    „Der nimmt mich bestimmt nicht, wenn ich nicht fähig bin, Sex zu haben“


  • Vertrauen zu meinen Partnern aufbauen:

    „Irgendwann werde ich ihm nicht mehr ausreichen, weil er doch penetrativen Sex haben will.“


  • Nutzung von Tampons:

    Mich haben Binden wirklich genervt. Aber ein Hoch auf Periodenunterwäsche.


Und die Liste könnte ewig so weitergehen. Mir würden noch tausende Punkte einfallen, die ich als Betroffene von Vaginismus anders erlebe, als Personen, die in der Lage sind, etwas vaginal aufzunehmen*. In diesem Blogbeitrag möchte ich aber über das Abstriche machen bei Gynäkolog*innen schreiben.


Durch die ersten Termine bei meiner damaligen Frauenärztin wusste ich, dass ein Besuch in meiner gynäkologischen Praxis alles andere als ein Spaziergang für mich werden würde. Jedes Mal, wenn sie sich mir mit diesem langen Wattestäbchen näherte, zog sich in mir alles zusammen und mich durchdrang ein stechender Schmerz, wenn das Wattestäbchen mich berührte. Wir mussten also jede Untersuchung sofort abbrechen und verschoben die Untersuchung auf das nächste Mal. Dabei war natürlich klar, dass jeder neue Termin mit einem „Hat sich an Ihrer Situtiaon inzwischen etwas verändert?“ begann. Das Wort „Vaginismus“ fiel zu dieser Zeit niemals und mir wurde auch nicht erklärt, dass es durchaus eine Vielzahl von Menschen mit Vagina gibt, bei denen eine gynäkologische Untersuchung schmerzhaft bis unmöglich ist. Vielmehr wurde der Fehler bei mir gesucht. Gynäkolog*innen haben die kreativsten und absurdesten Tipps bei Vaginismus. Wer von uns kennt es nicht: das obligatorische Weinglas, das uns allen den Tag und die Penetration rettet? Wer von uns kennt es nicht, dass wir uns einfach nur entspannen müssen, dann penetrativen Sex haben und plötzlich sind all unsere Probleme bei jeglichen Besuchen in der Praxis verschwunden? Der Schmerz ist nur kurz und danach ist das alles nur noch ein Zuckerschlecken.


Bei mir ging es noch weiter: Stets wurde mir suggeriert, dass ich meinen Freund einfach nicht genug lieben und dadurch mein Jungfernhäutchen nicht loswerden würde. Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich gerade kotzen möchte, während ich das hier schreibe.

Irgendwann übernahm der Sohn meiner Gynäkologin die Praxis und als er bei unserem zweiten Termin ebenfalls nicht mit dem Wattestäbchen weiterkam, kündigte er an, dass er es beim nächsten Mal einfach durchstechen würde, wenn ich bis dahin nicht endlich Sex gehabt hätte. Das war das letzte Mal, dass ich diese Praxis aufgesucht habe.


Ich könnte jetzt schreiben, dass ich danach mehrere Jahre gar nicht zu einer gynäkologischen Praxis gegangen bin, aber so war es nicht. Denn zusätzlich zu meinem Vaginismus leide ich an einer generalisierten Angststörung. Ich bin ständig der Meinung, dass ich schwer krank sein muss. Es kann sich hier bestimmt jede*r vorstellen, wie es dann ist, keine Gewissheit zu haben, ob mit meinem Unterleib alles in Ordnung ist. Ohne Abstriche ist es schlichtweg nicht möglich, alle Eventualitäten auszuschließen. Und so gehe ich unermüdlich ein- bis zweimal im Jahr zu meiner „neuen“ Gynäkologin und schaue was möglich ist. Leider stellt sich auch mit 32 Jahren immer noch kein Erfolg ein. Dass ich keine gynäkologischen Abstriche machen kann, und nicht regelmäßig so kontrolliert werde, wie es eigentlich vorgesehen ist, macht mir große Angst. Ich wünsche mir mehr Gewissheit.


Allerdings habe ich in meine jetzige Frauenärztin viel mehr Vertrauen und kann offen ansprechen, was geht und was nicht geht. Sie konnte mir mit Hilfe eines Spiegels veranschaulichen, dass ich nicht nur Vaginismus, sondern auch ein verengtes Hymen** - ein sogenanntes Bleistiftspitzen-Hymen - habe. Dieses verursacht den Schmerz bei Berührungen, schon mein ganzes Leben und bedingt den Vaginismus. Dabei ist nicht klar, ob ich den Vaginismus auch so entwickelt hätte, oder ob es durch den permanenten Versuch und die dadurch ständig entstehenden Schmerzen herrührt. Um das Bleistiftspitzen-Hymen loszuwerden, müsste ich mich operieren lassen. Und soweit bin ich noch lange nicht. Und das ist okay. Ich werde weiter daran arbeiten, aber mir Zeit lassen. Ich möchte zunächst mich selbst und den Vaginismus als mein Schutzschild akzeptieren.


Auf meiner bisherigen Vaginismus-Reise habe ich mich besser kennenlernen dürfen. Ich habe eine Frauenärztin, die mir die Zeit gibt, die ich brauche. Ich komme mit den Abstrichen klar, die ich durch den Vaginismus machen muss. Mein großartiger Partner liebt mich genau so wie ich bin.


Früher oder später kann es um das große Ziel gehen: Mich untersuchen lassen zu können. Ich möchte mich in meinem Körper sicher fühlen. Alle anderen Abstriche kann ich hinnehmen. ;)




*Ich nutze extra das Wort „aufnehmen“ statt „einführen“. Denn es macht uns Menschen mit Vagina zu dem aktiven selbstbestimmten Part.


**Das Hymen ist eine dünne ring- oder halbmondförmige Umrandung, die den Eingang der Vagina von innen umgibt. Häufig wird dieses mit dem nicht existierenden Jungfernhäutchen „vertauscht“.

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